Ein Gespräch mit Arye Sharuz Shalicar
In den vergangenen Jahren haben sich Israel und zahlreiche arabische Staaten angenähert. Über diese Entwicklungen schreibt Arye Sharuz Shalicar in seinem neuen Buch „Schalom Habibi – Zeitenwende für jüdisch-muslimische Freundschaft und Frieden“, der durch seine Arbeit im Büro des Ministerpräsidenten aus erster Hand berichten kann. Vor wenigen Wochen war er zu Gast in der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und stellte sein neues Buch vor. Im Vorfeld gab es auch einen intensiven Austausch zwischen Arye Sharuz Shalicar und einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von SABRA. Außerdem konnten wir vor der Lesung mit ihm sprechen:
Dein neues Buch „Schalom Habibi“ ist ein positives Buch. Was hat Dich dazu veranlasst ein positives Buch zu schreiben?
Arye Sharuz Shalicar: Man hört immer so viel Negatives, von Auschwitz über Antisemitismus, über Terror, über Krieg, also irgendwie nur Hass. Aber das ist nicht die Realität. Die Realität hat zwei Seiten. Im Buch schreibe ich immer von zwei Seiten der Medaille. Hass und Liebe, Krieg und Frieden, all das gibt es Seite an Seite. Und durch meine Lebenserfahrung, ob beruflich oder familiär, habe ich auch sehr viele positive Dinge erlebt, mit Muslimen und mit arabisch und muslimischen Staaten. Und deswegen erzähle ich in diesem Buch auch endlich mal das Positive, weil das Positive in Deutschland meiner Meinung nach ein Stück zu kurz kommt.
Was sind das genau für positive Veränderungen, die Du ansprichst?
Arye: Also auf individueller Basis, erzähle ich alle möglichen Geschichten, wie ich persönlich als Jude in Israel oder in Berlin oder meine Mutter in Teheran, auch positive Beziehungen zu Muslimen hatten. Das hört man auch selten. Man denkt, Juden und Muslime sind verfeindet und Punkt. Aber das stimmt nicht. Es gibt natürlich auch Feindschaften, doch es gibt auch Freundschaften. Und genau darüber erzähle ich auf individueller Ebene. Auf Staatslevel schreibe ich unter anderem über die „Abraham-Accords“, die vor zwei Jahren unterschrieben wurden, wo Israel mit Bahrain, Marokko, den Vereinigten Arabischen Emirate, Sudan und auch mit vielen anderen arabisch-muslimischen Staaten, Beziehungen hat. Mal über und mal unter dem Teppich. Das ist in Deutschland nicht bekannt. Da sind Freundschaften in den vergangenen Jahren entstanden zwischen Israel und arabisch-muslimischen Staaten, wo es Kooperationen auf allen möglichen Ebenen gibt. Und das wurde mir nicht erzählt, sondern ich war dort. Ich habe den Fuß vor Ort reingesetzt. Ich kenne die Realität on the ground. Und ich habe es fühlen, riechen, sehen können mit eigenen Augen. Und das erzähle ich in diesem Buch, damit man sieht, dass Frieden eben möglich ist.
Sind die positiven Veränderungen auch Veränderungen, die Dir für die Zukunft Hoffnung geben?
Arye: Ich habe zwei Eigenschaften, die miteinander diskutieren. Das eine ist der Pessimist und das andere der Optimist. Und der Pessimist in mir sagt, dass es jetzt gerade eine Win-Win-Situation ist, und man braucht sich im Augenblick wegen verschiedenen Inhalten, wie zum Beispiel den Iran als gemeinsame Gefahr. Und das kann jederzeit wieder beendet werden. Genauso wie der Iran in den 1970er Jahren engster Verbündeter Israels war oder die Türkei vor Erdogan war auch sehr eng mit Israel verbunden. Daher sagt der Pessimist in mir, dass sich Dinge dann auch wieder in Sand auflösen können. Der Optimist in mir sagt: Nein, Zeitenwende! Und bei Zeitenwende rede ich im Buch davon, dass genau das, was jetzt passiert, nicht einfach so kommt und geht. Sondern hier wird grundlegend etwas verändert. Hier werden Freundschaften geschlossen, die lange halten werden, die den Nahen Osten neu aufstellen werden und die den Staat Israel vielleicht das erste Mal zum integralen und akzeptierten Teil des Nahen Ostens machen. Das war vorher nicht so.
Du hast es kurz angesprochen, dass in Deutschland diese neuen positiven Beziehungen zwischen Israel und verschiedenen arabischen Staaten kein Gehör finden. Fehlen da Begriffe wie Krieg, Terror und Tod?
Arye: Der deutsche Blick auf den Nahen Osten, ist auf „den Nah-Ost-Konflikt“. Und „der Nah-Ost-Konflikt“ hat mit Israel und den Palästinensern zu tun. Alles andere sind andere Konflikte, mit denen man teilweise gar nichts zu tun hat. Sie interessieren einen kaum. Die Palästinenser und Israel interessieren die Menschen hier. Das hat natürlich auch mit der Vergangenheit Deutschlands zu tun. Da gibt es einen Faden. Doch dieser Tunnelblick auf Israel und die Palästinenser und alles andere ist etwas Anderes, der ist falsch. Und der wird in den Medien leider falsch wiedergegeben. Und warum wird er von den Medien falsch wiedergegeben? Weil der Otto Normalverbraucher nur diesen Tunnelblick kennt. Und so spielen sich die Bevölkerung, die Medien, die Politik und die Akademie in die Hände. Alle verstehen: „Der Nah-Ost-Konflikt.“ Und in diesem Konflikt gibt es zwei Spieler. Die Aufgabenverteilung ist ganz klar. Wer ist gut? Wer ist schlecht? Wer ist stark? Wer ist schwach? Wem sollten wir unter die Arme greifen, weil er hilflos ist? Wer ist menschenverachtend? Wer ist Kriegstreiber? Wer ist Friedensverweigerer? Da gibt es eine ganz klare Aufgabenverteilung. Jetzt vor Kurzem als Abbas in Berlin war und gesagt hat, was er gesagt hat, waren sehr viele Deutsche im Schock. In Israel war niemand im Schock, weil alle genau wussten, wie der Mann drauf ist. In Deutschland durch den Tunnelblick hat man sich eingebildet, dass erstens Abbas Friedensmensch ist, was totaler Quatsch ist, was eine Lüge ist. Jeder, der sich ein bisschen auskennt, weiß das. Und zum zweiten gibt es auch nicht wirklich bessere Optionen. Hamas und Islamic Jihad sind noch krasser drauf. Also in Sachen Frieden ist dort gar nichts zu holen. Und drittens wird der regionale Kontext komplett ausgeblendet.
Inwiefern können diese positiven Beziehungen auch die jüdisch-muslimische Freundschaft in Deutschland prägen?
Arye: Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen unter Muslimen in Berlin in den 90er Jahren, ist es ein Thema, was mich nach wie vor sehr beschäftigt, weil es mich traumatisiert hat. Und dieses Trauma habe ich verarbeitet, in dem ich darüber spreche, darüberschreibe und diskutiere. Einer der Gründe, warum ich bundesweit auch immer wieder an Schulen gehe, ist, weil die Schüler heute in dem Alter sind, in dem ich damals war, als es bei mir hart auf hart zuging. Damals wurde ich als Jude verfolgt, geschlagen, bespuckt, mit Messern bedroht, wo ich wirklich Angst um mein Leben hatte. Warum? Ich habe niemandem etwas getan, ich war nur Jude. Nur Jude! Es hat gereicht damals – und genauso ist es auch heute noch. Und ich glaube wirklich daran, dass wenn wir über die Jugend reden, es zwei Gruppen gibt. Die mit Migrationshintergrund und die ohne Migrationshintergrund. Die mit Migrationshintergrund, unter denen ich aufgewachsen bin in Berlin-Wedding, die haben ein Problem größtenteils mit Juden, auch wegen Israel, allerdings nicht nur wegen Israel. Für viele sind Juden etwas Dreckiges, das habe ich damals kennengelernt. Und da muss man gegensteuern. Man muss ihnen erklären, wie Israel drauf ist, dass 20 Prozent der Israelis Muslime sind, dass es eine arabische Partei in der Koalition ist. 30 Prozent der israelischen Ärzte sind Araber. 50 Prozent der israelischen Apotheker sind Araber. Es ist einfach ein freies, demokratisches Land. Das weiß man hier nicht. Ich glaube, dass wenn man das den Deutschen mit Migrationshintergrund erzählt, das könnte Antisemitismus ein Stück weit schwächen. Sie lernen plötzlich etwas kennen, was sie vorher nicht kannten. Bei der anderen Seite Deutschlands, also den Deutschen ohne Migrationshintergrund, bei denen besteht aufgrund der Vergangenheit sehr oft ein sehr unentspanntes Verhältnis zu den Juden und somit auch zum jüdischen Staat. Und ich glaube, dass dieses unentspannte Verhältnis heute oft dazu führt, dass sie sagen, dass sich Israel heute ja auch nicht ganz sauber benimmt. Als wenn man die vergangenen Verbrechen dadurch relativieren könnte, zumindest im Unterbewusstsein. Und ich glaube, dass man gegen dieses unentspannte Verhältnis im Hinterkopf von vielen jungen Deutschen, auch vorgehen kann, wenn man ihnen die Argumentation nimmt. Man muss zeigen, dass es viele Freundschaften zwischen Juden und Muslimen und zwischen Israel und einigen arabischen Staaten gibt. Und dadurch können sie Juden, Israel und den Nahen Osten aus einer komplett anderen Perspektive wahrnehmen, die Vergangenheit können sie etwas ruhen lassen und die Gegenwart positiv angehen, damit sie in Zukunft glücklich werden beim Thema Juden und Israel.
Können diese Beziehungen einen positiven Effekt für den gesamten Nahen Osten haben? Und glaubst Du, dass dadurch auch die Terrorgefahr für Israel abnehmen könnte?
Arye: Zwei Seiten der Medaille – Terror wird bleiben, Krieg wird bleiben, Feinde werden bleiben. Hisbollah wird sich nicht in Luft auflösen, die Mullahs wahrscheinlich leider auch nicht, in Syrien Massenmörder Assad auch nicht, zumindest erstmal nicht. Schiitische Milizen, ISIS, Al Quaida, Hamas, Islamischer Jihad. Du hast sie, wie Sand am Meer. Sie sind alle um uns herum. Das ist die eine Seite der Medaille. Aber die kennen wir. Die kennt man auch in Deutschland, nicht immer weiß man, wer gegen wen, aber man hat schon einmal davon gehört. Was man nicht kennt, ist die positive Seite. Die stärkt sich gerade wie so ein Camp. Man freundet sich gerade an auf den verschiedensten Ebenen, Sicherheit, Wirtschaft, Hightech, Tourismus, Energie, etc. Und das sind Freundschaften, die, während wir hier auch reden, wirklich gefestigt werden. Und das ist die andere Seite der Medaille, die bis vor Kurzem gar nicht präsent war. Die hat man überhaupt nicht wahrgenommen. Und diese Zeitenwende, von der ich rede, das ist nicht irgendeine Erfindung von Arye Shalicar. Die Dinge passieren, man braucht nur kurz googeln. Und dann stellt man fest, dass sie sich andauernd besuchen. Aus Marokko sind sie in Israel oder aus Israel sind sie in Dubai, und so weiter. Da passiert sehr viel gerade in den letzten zwei Jahren. Meine Hoffnung ist, wieder der Optimist, dass es sich nur verstärken wird und wenn es noch stärker wird, dass man hoffentlich der anderen Seite der Medaille, denjenigen, die für Terror und Krieg sind, haushoch überlegen ist. Nicht als Israel alleine, nicht als Vereinigte Arabische Emirate alleine, nicht als Marokko alleine, sondern als dieses Camp, das mittlerweile Teil des Westens wird, weil man auch mit Europa und Amerika zusammenarbeitet. Und auf der anderen Seite hat man viele Verbrecher, daher muss man unsere Seite stärken.
Du hast in Deinem Buch ein Kapitel genannt „Frieden mit Leben füllen“. Wie könnte diese Fülle innerhalb des Friedensprozesses aussehen?
Arye: Ich muss nicht bei null anfangen, denn dieser Frieden wird gerade gefüllt. Man geht immer davon aus, dass es sich wegen des Irans um Sicherheitskooperationen handelt. Das ist alles richtig, aber letztendlich gibt es auch sehr viele Kooperationen in allen möglichen anderen Bereichen, die jetzt gerade schon passieren. Das beste Beispiel dazu: Israel ist eine der führenden Hightech-Nationen. Und das braucht die arabisch-muslimische Welt von Israel. Das heißt, heute ist es wie in einer Beziehung. Es gibt Interessen und es muss eine Win-Win-Situation sein. Wenn beide Seiten das Gefühl haben, man gibt etwas gegenseitig, dann funktioniert auch die Beziehung und die Freundschaft. Wenn eine Seite fühlt, dass sie nur gibt und die andere Seite nur nimmt, dann funktioniert das nicht. Jetzt gerade funktioniert es sehr gut. Und es wird auf vielen Ebenen in diesem Moment verfestigt.
Du hast gerade das SABRA-Team kennengelernt. Hast Du zum Abschluss noch ein paar nette Worte an die Gemeinde und an SABRA?
Arye: Ja, ich hatte eben ein sehr intensives Gespräch mit dem SABRA-Team. Es hat mir sehr gut gefallen, es sind sehr nette und engagierte Leute. Das wünsche ich mir in jeder Stadt. Und die Jüdische Gemeinde Düsseldorf ist für mich schon eine Art Heimatgemeinde, weil ich ja in Berlin überhaupt keinen Kontakt zur Jüdischen Gemeinde weder habe noch jemals hatte – obwohl ich in Berlin großgeworden bin. Und deswegen ist Düsseldorf eine meiner Top-Gemeinden hier in Deutschland und ich freue mich heute hier sein zu dürfen.
Das Interview führte Zeev Reichard