Das Leben in der israelischen Armee

Ein Gespräch mit Sana

Im Rahmen von „Un(d)orthodox – der jüdische Podcast für Unschlüssige“ haben wir die israelische Armee, auch bekannt unter der IDF, thematisiert. Wir wollen damit einen kleinen Einblick geben, wie das Leben in einer Armee aussieht, die den jüdischen Staat beschützt, der wiederum immer wieder Gefahren ausgesetzt ist. Dafür haben wir mit Sana gesprochen, die 18 Monate lang in der IDF gedient hat.

In welchem Zeitraum hast Du für die IDF gedient und wie kam es dazu?

Sana: Eingezogen wurde ich im August 2014 und ich habe 18 Monate gedient. Als ich noch in der Armee war, hieß es, dass Mädchen zwei Jahre und Jungen drei Jahre, dienen. Ich habe anderthalb Jahre gedient, weil ich nicht über den regulären Zweig in die Armee gekommen bin. Da ich keine Staatsbürgerin bin, gibt es ein Volontärprogramm, wo eben Nichtisraelis, die in die Armee wollen, auch ganz normal in die Armee eingezogen werden können und einen normalen Dienst ableisten können. Und dann war ich im Februar 2016 fertig.

Ich hatte eigentlich nie vor in die Armee zu gehen. Ich habe allerdings vorher schon ein Jahr in Israel gelebt, habe in einer Midrascha gelernt. Also in einer Jeshiwa (eine Tora-Schule), nur halt für Mädchen. Das Jahr war für mich so prägend, dass ich gesagt habe, dass ich nach meinem Midrascha-Jahr nicht sofort nach Deutschland zurückkehren möchte. Ich wusste, dass ich in Israel bleiben möchte, aber ich wusste noch nicht genau, was ich machen möchte.

Man ist in Israel einfach einer ganz anderen Realität ausgesetzt, das sage ich auch ganz ehrlich. Man hört und sieht Soldaten überall. Man fährt mit ihnen gemeinsam im Bus, man steht hinter ihnen in der Schlange, wenn es darum geht sich einen Kaffee zu holen. Man sieht Soldaten mit einer Waffe auf der Straße. Und das prägt einen schon, muss ich sagen. Und ich habe mich in Deutschland, gerade in meinen letzten Abiturjahren, nicht sehr wohl gefühlt. Ich habe angefangen, meine jüdische Identität sehr stark zu hinterfragen, um herauszukristallisieren, was es für mich bedeutet. In Israel war es dann natürlich ein kultureller Schock, aber ich habe mich dort nicht mehr so fremd gefühlt. Ich muss nicht immer wieder erklären, was meine Jüdischkeit anbelangt und man ist nicht immer so „ich als Außenstehender von den Anderen“, sondern man gehört irgendwie dazu. Und ich hatte nach der Midrascha das Bedürfnis, dieses Gefühl noch etwas weiter voranzutreiben. Ich hatte den Eindruck, dass es in der Armee eigentlich eine ganz gute Gelegenheit ist, weil wo sonst ist man Teil einer Gemeinschaft, wenn nicht in der Armee. Meine Kommandeure haben nicht umsonst gesagt: Eure Einheit wird eure Familie sein für die nächsten Wochen oder Monate. Und so war es tatsächlich. Nirgendwo sonst habe ich so ein starkes Gemeinschaftsgefühl gespürt, wie in der Armee. Man geht zusammen durch alle möglichen Phasen, gute wie schlechte Momente. Man freut sich zusammen, man leidet aber auch sehr stark zusammen. Das muss man auch ganz klar sagen. Die Armee ist kein Zuckerschlecken. Aber in der Armee habe ich wirklich gemerkt, dass es sich gelohnt hat, länger in Israel zu bleiben. Sowohl was dieses Gemeinschaftsgefühl anbelangt als auch die persönliche Entwicklung. Man lernt sich als Menschen von einer ganz anderen Seite kennen. Die eigenen Limits werden definitiv nochmal gesteigert. Man ist grundsätzlich zu mehr im Leben fähig, sowohl physisch als auch emotional. Und das ist auch nach der Zeit in der Armee noch sehr viel wert, weil man immer auf die Erfahrungen in der Armee zurückgreifen kann, wenn es im Leben mal schwer wird. Und wenn man merkt, dass man eigentlich viel mehr kann, als man sich zutrauen würde. Daher war es wirklich eine sehr prägende Erfahrung, die ich auch nicht missen wollen würde.

Du hast angedeutet, dass Du Dich in Deiner Zeit bei der Armee weiterentwickelt hast. Was für Charaktereigenschaften wurden vielleicht in Deiner Zeit bei der Armee gestärkt?

Sana: Also zum einen ist es definitiv das Durchhaltevermögen. Ich muss sagen, dass ich beim Thema Disziplin vorher nicht die Strengste war. Ich würde sagen, bei Disziplin und Selbstbeherrschung hat sich was getan. Wenn man muss, dann findet man auch einen Weg durchzukommen und durchzuhalten. Aber zu mir persönlich würde ich sagen, dass ich viel selbstbewusster geworden bin. Ich glaube grundsätzlich, dass wenn man in ein fremdes Land kommt, ist erst einmal sehr viel neu. Ich war vorher nicht so oft in Israel. Man kennt die Leute nicht, man kennt die Sprache nicht, man kennt das System nicht und wir als Außenstehende haben nicht diesen großen Familienkontext, auf den wir zurückgreifen können, wo Vater, Bruder, Onkel, Cousin und wahrscheinlich auch viele Frauen in der Armee waren. Man ist irgendwie die Erste und die Einzige. Insofern ist das jetzt schon eine Überwältigung – und das stärkt schon das eigene Selbstbewusstsein. Wenn man sich sagen kann, dass man es geschafft hat und man nicht irgendwie untergegangen ist. In der Armee habe ich eine besondere Tätigkeit zugewiesen bekommen. Ich war Kommandeurin, ich war Grundausbilderin – eine klassische Bootcamp-Trainerin, wenn man sich das so vorstellen möchte. Das muss man auch erst einmal irgendwie schaffen und machen. Ich hatte schon immer diese Leadership-Rolle inne. Seitdem ich 15 Jahre alt bin, war ich im Jugendzentrum und bin immer auf Machanot als Madricha gefahren. Also ich kannte es schon vorne zu stehen und vor Leuten zu reden. Aber hier ist es auf einer anderen Sprache und in einem anderen Kontext gewesen. Und man muss auch sagen, dass man als Bootcamp-Trainerin zu einer anderen Person wird. Man darf nicht zu viele Gefühle zeigen und man muss eine gewisse Distanz zu seinen Rekruten wahren. Und es sind immer wieder neue Leute, auf die man sich einstellen muss. Also ich muss daher sagen, dass es mein Selbstbewusstsein schon ziemlich gepusht hat.

Der Sprung in die Armee zu gehen, ist ja schon ziemlich groß, weil man mit Armee in der Regel Krieg und Kampf assoziiert. Hattest Du im Vorfeld Bedenken?

Sana: Ich hatte jetzt nicht die klassischen Sorgen, wie Lebensgefahr oder Angst vor lebensbedrohlichen Situationen. Ich wusste, dass ich keine Kämpferin werde und auch nicht unbedingt werden wollte. Es gibt in der IDF diese Regel, dass wenn man Einzelkind ist und in eine Kampfeinheit möchte, dass man die Genehmigung der Eltern braucht. Und das war bei mir von vornherein ausgeschlossen. Grundsätzlich meine ganze Familie war jetzt nicht begeistert, dass ich in die Armee wollte. Von daher wusste ich, dass ich diese Genehmigung nicht bekommen würde. Ich muss aber auch sagen, dass die Sorgen vor lebensbedrohlichen Situationen damals nicht so präsent waren, wie die Motivation in die Armee zu gehen. Aus meiner Perspektive ist man aber nicht automatisch mehr geschützt, weil man gerade nicht im Armeekontext, als wenn man im Armeekontext ist. Deswegen habe ich auch nicht an die klassischen Folgen gedacht, was es heißt, ein Soldat zu sein.

Du hast gesagt, dass Du Dich als Teil der Gesellschaft fühlen möchtest und bist deshalb in die Armee gegangen. Das ist in Israel wohl einzigartig, dort ist eine ganz andere Dynamik. Wie hast Du diese empfunden?

Sana: Allein, dass sich diese Frage in Israel gar nicht stellt, ob man in die Armee geht oder nicht. Dort geht eigentlich jeder in die Armee, bis auf gewisse Ausnahmen, wie beispielsweise religiöse Frauen. Aber dadurch, dass im Grunde jeder in die Armee geht, ist das wie eine kollektive Erfahrung, an der alle teilnehmen und auch teilhaben. Egal aus welchem Background du kommst, sobald Du durch die Tür IDF gehst und die Uniform trägst, bist du Teil einer Einheit und bist Teil eines Ganzen. Teilweise ist es egal, ob du jüdisch bist oder nicht. Wir haben auch viele nichtjüdische Israelis, die in der Armee sind. Insofern fungiert es als etwas Kollektives, wo ähnliche Erfahrungen gemacht werden. Ich könnte mir in Israel keinen anderen Ort vorstellen, an dem man sich mehr mit der Gemeinschaft und der Gesellschaft verbindet. Und man merkt, dass es auch einen Mehrwert hat. Natürlich steht jetzt nicht jeder mit einem Gewehr und beschützt die Grenzen, aber man leistet seinen Beitrag und man hat eine gewisse Verpflichtung. Und immer, wenn man auf den Straßen einen Soldaten sieht, dann assoziiert man etwas mit ihm. Es ist ein Soldat, der dient dem Land, beschützt es und leistet einen Beitrag und einen Mehrwert für alle Israelis, unabhängig von Religion oder Herkunft. Es ist also ein sehr verbindendes Glied innerhalb der Gesellschaft. Die Armee bietet Möglichkeiten, die man im zivilen Raum vielleicht nicht hätte. Es gibt viele Bestandteile, die man in der Armee nachholen kann, die man vorher verpasst hat, sei es im schulischen Kontext oder Sprachkurse für Leute, wie mich. Das hat meiner Meinung nach daher schon einen Sinn, dass die Armee in Israel verpflichtend ist. Und man muss auch ganz klar sagen, dass es in Israel nicht die Frage ist, wann oder ob etwas vorbei ist, sondern wann eigentlich der nächste Brennpunkt ansteht. Daher ist es wichtig, dass jeder geschult und vorbereitet wird, ist auf einen Extremfall, der vielleicht von der Normalität abweicht.

Du wurdest ja im August 2014 eingezogen. Zu der Zeit fanden kriegerische Auseinandersetzungen mit der Terrororganisation Hamas statt. Warst Du damals in irgendeiner Form involviert?

Sana: Ich bin unmittelbar nach dieser Eskalation eingezogen. Aber ich habe das als zivile natürlich sehr stark mitbekommen. Ich war allerdings vor der Armee in einem Vorbereitungsprogramm. Man macht verschiedene Sachen, die einen auf den Dienst in der Armee vorbereiten soll – sowohl physisch als auch emotional. Dazu gehörten zum Beispiel ganz viele Wanderungen. Das hört sich jetzt so an, als ob man Stiefel und Wanderstöcke mitnimmt und dann in den Bergen wandert, so ist das natürlich nicht. Das ist schon intensiv, wenn man mehrere Kilometer wandert und dann auch zeltet, und das mit der gesamten Ausrüstung auf dem Rücken. Insofern muss man darauf auch vorbereitet werden, bevor man in die Armee einzieht. Und wir haben eben im Rahmen des Vorbereitungsprogramms auch viele Wanderungen gemacht und gerade in den Nächten, in denen wir draußen waren und irgendwo im Nirgendwo zwischen Tälern und Bäumen gezeltet haben, haben wir die Warnsirenen von den umliegenden Dörfern gehört. Und man selbst liegt dann da, steht vielleicht auch gerade Schmiere vor dem eigenen Lager, weil man will die Armee-Erfahrung vor dem eigenen Dienstantritt so gut es geht vermitteln. Man liegt da, hört die Sirenen und hat dann eben gerade keinen Bunker, in denen man rennen kann. Ich weiß zwar nicht, ob die Erfahrung intensiver wäre, wenn ich in der Armee gewesen wäre, aber sie war so schon intensiv genug, auch im zivilen Kontext.

Kannst Du uns darüber berichten, wie das Leben in der Armee generell aussieht?

Sana: Es gibt in der Armee verschiedene Bereiche, die man macht. Das hängt aber auch stark davon ab, ob man Kämpfer ist oder nicht. Es gibt aber auch Aufgaben in der Armee, wo man nicht die gesamte Woche auf der Base bleibt, sondern wo der Dienst dann wirklich wie so ein 9 to 5-Job ist. Das heißt, sie wohnen zuhause, kommen morgens zur Base und fahren am Abend wieder zurück. Das sind dann aber meistens klassische Bürojobs. So ein Alltag sieht dann natürlich ganz anders aus, als wenn man von Wochenanfang bis Wochenende vor Ort ist. Wenn man dann auf der Base ist und dann nur über Schabbat nach Hause fährt, dann hat man auch mehr oder weniger einen strikten Ablauf. Man steht früh auf, ausschlafen gibt es nicht, und mit früh meine ich schon so 5 Uhr oder 5.30 Uhr. Und dann hat man eben ein Tagesprogramm. Morgens gehören definitiv putzen und Aufräumtätigkeiten dazu. Wer möchte, geht zum Gebet. Im Anschluss gibt es Frühstück und dann gehen die Übungen los. Manchmal sind es Übungen, die auch für die Feldeinsätze gedacht sind, also körperliche Übungen, Schießübungen. Manchmal sind es aber auch einfache Shiurim. Armee ist nicht nur 365 Tage im Jahr durch Felder kriechen und Schießübungen machen, sondern Armee ist auch ganz viel lernen, gerade auch Inhalte lernen, von denen man gar nicht denken würde, dass sie in den Armeekontext passen – auch viel zur Geschichte Israels. Es gibt auch viele ethische Bestandteile und Inhalte zur Moral – was ist Moral überhaupt. Viele Aufgaben, die man im Armeealltag bekommt, fragt man sich dann auch als Soldat, wofür. Was ist der Sinn dahinter. Keiner wird sich dahinstellen und sich die Zeit nehmen es erklären, du bist nur ein Rädchen im großen Zahnradsystem, wo jedes Rädchen verstehen muss, warum es die Sache machen muss, die es gerade tut. Nein, zur Armee-experience gehört es auch, einfach stumpf den Kopf auszuschalten und die Sachen zu machen. Nicht alles ist total romantisch und heroisch und man opfert sich selbst für das Wohl des großen Ganzen. Man muss auch einfach mal Sachen machen, die man blöd findet. Und das ist genau der Punkt. Auch jetzt sechs Jahre nach meiner Entlassung muss ich etwas machen, das ich vielleicht blöd finde, aber auch da stellt sich keiner hin, um mir das zu erklären. Ich mache es halt einfach. Und auch da ist die Erfahrung in der Armee eine ganz gute Lektion.

In Israel hat man direkt eine Nähe zu Soldaten. Das ist hier in Deutschland zum Beispiel ganz anders, da gibt es eher eine Distanz. Die Gesellschaft in Israel hat eine andere Beziehung zu den IDF-Soldaten. Wie hast Du das wahrgenommen?

Sana: Ja, das ist wirklich so. Ich finde, man kann den europäischen Kontext nicht mit Israel vergleichen. Dadurch, dass so gut wie jeder in der IDF war und diese Erfahrung macht, ist der Bezug natürlich da. Ich will nicht sagen, dass da jetzt eine Verbundenheit ist, wenn man einen Soldaten im Bus, im Café oder auf der Straße sieht, aber ich würde mal sagen, dass da schon ein Grundverständnis vorhanden ist. Es wird einem mit viel mehr Verständnis und Wärme begegnet. Ich hatte sehr schöne Erfahrungen, als ich in Uniform aber in Zivil unterwegs war. Ich war auf dem Weg zur Base von zuhause und wollte mir unterwegs einen Kaffee holen. Und ich wollte gerade meinen Kaffee bezahlen, da sagte mir die Verkäuferin, dass Soldaten hier nicht zahlen. Sie sagte: ihr beschützt gerade unser Land, Soldaten zahlen hier nicht. Die Leute haben viel mehr Wertschätzung für dich. Es gibt so viele Geschichten, wo man merkt, dass die Gesellschaft dir so viel Dankbarkeit entgegnet. Und man versucht dir, die Momente während deiner Zeit als Soldat oder als Soldatin, so gut es geht zu versüßen – mit so kleinen Gesten.

Das Interview führten Matvey Kreymerman und Zeev Reichard