Der fröhliche Rabbi

Ein Gespräch mit Rabbiner David Kraus

Der Sprung vom Atheismus zur Ultraorthodoxie ist ein erheblicher. Rabbiner David Kraus hat diese Wandlung vorgenommen und lebt in Jerusalem. Aufgewachsen ist er in Regensburg, wo er den Wunsch hatte, Hotelmanager zu werden. Doch sein Leben wurde durch einen Schicksalsschlag auf den Kopf gestellt. In unserem Podcast „Un(d)orthodox – der jüdische Podcast für Unschlüssige“ war Rabbiner David Kraus, aus Jerusalem zugeschaltet, zu Gast:

Du bist ein chassidischer Rabbiner und das sieht man Dir auch rein optisch an. Aber das war ja nicht immer so, deine Jugend war schon wilder. Ist das so richtig?

Rabbiner David Kraus: Was heißt wilder? Das beamt mich nach New York in den Centralpark zu Alex dem Löwen, der da rumtanzt. Aus dem Disney-Film „Madagaskar“. Wer Kinder hat, versteht mich. Und der hüpft da herum und tanzt, ganz wild. Und bei mir war das dann auch so. Ich war nicht in Jerusalem in meiner Kindheit und in meinem jungen Erwachsenenleben als Student, sondern ich war in Regensburg – in der wilden Studentenstadt Regensburg. Und dann habe ich da eben rumgetanzt. Und jetzt tanze ich hier.

Du bist mit Deiner Familie im Alter von nur 12 Tagen aus Israel nach Deutschland gekommen. Du warst ungewöhnlich jung. Wie kam es dazu?

Rabbiner David Kraus: Als ich 12 Tage alt war, sind meine Eltern mit mir aus beruflichen Gründen zunächst nach Hannover gezogen. Mein Vater war damals im Hilton in Jerusalem ein begehrter Küchenchef. Und dann bekam er ein tolles Angebot in Hannover und da war er auch so toll. Dann folgte ein Angebot aus Rotterdam und auch dort war er wieder so toll, dass auch Regensburg ihn haben wollte. Ich kam dann auch ins Schulalter und mein Vater wollte mich in einer Schule lassen. Und so bin ich dann in Regensburg gelandet.

Hattest Du damals schon Berührungspunkte mit jüdischem Leben?

Rabbiner David Kraus: Die Jüdische Gemeinde Regensburg war eine tolle, familiäre und wundervolle Gemeinde. Meine Mutter war damals in der Küche der Jüdischen Gemeinde zuständig für die Einhaltung der Koscher-Vorschriften. Und daher war auch immer ein enger Bezug zur Jüdischen Gemeinde da. Und natürlich hatte ich auch eine Bar Mitzwah – sogar zweimal. Einmal habe ich sie in Regensburg gemacht und dann auch an der Klagemauer in Jerusalem, weil meine Familie in Israel lebt. Außerdem war der wöchentliche Religionsunterricht ein weiterer Berührungspunkt mit dem jüdischen Leben in Regensburg.

Wieso hattest Du damals noch nicht zu Deinem Judentum gefunden? Und wieso hast Du Dich damals noch als Atheist gefühlt und es auch so ausgelebt?

Rabbiner David Kraus: Ich habe eine traditionelle Erziehung von Zuhause genossen. Meine Familie hat großen Wert draufgelegt. Das ist wie so ein schönes Nest, in dem bekomme ich dieses tolle Essen, diese Wärme, diese Liebe und diese Geborgenheit, aber ich bin der Vogel, der fliegt. Ich schaue mir mal den Baum und mal den Baum an. Und das habe ich interessanter gefunden und empfunden. Und ich bin eben aufgewachsen in einem nichtjüdischen Umfeld – das bedeutet nichtjüdische Schule, nichtjüdische Freunde, nichtjüdischer Fußballklub. Zuhause habe ich die Tradition bekommen, aber in dem Moment, wo ich die Tür aufmache, lebe ich in einer ganz anderen Realität. Und diese Realität hat mein Leben natürlich geprägt. Nachhaltig hat mich natürlich die Tradition geprägt, die mich dann in dieses große Nest Israel manövriert hat. Das Leben war einfach ein nichtjüdisches Leben in einem nichtjüdischen Umfeld.

Wie hat Deine Familie darauf reagiert, als Du orthodox geworden bist?

Rabbiner David Kraus: Natürlich war es zunächst so, dass sich meine Eltern gefragt haben, was jetzt hier los ist. Ihr Sohn bewegt sich in eine Richtung, in die er nicht erzogen wurde. Der erste Schreck war natürlich da, aber relativ schnell haben sie verstanden, dass ich mich verändere, aber ins Gute. Das bedeutet, ich bin immer noch der David. Ich habe mich nicht verändert. Von meiner Persönlichkeit, meiner Menschlichkeit und meiner Weltoffenheit bin ich immer noch derselbe David. Ich habe mich nur verbessert und verfeinert. Im Prinzip mit einem Upgrade und auch optisch habe ich mich verändert.

Der Sprung vom Atheisten zum Orthodoxen ist sehr groß. Was genau in Deinem Leben hat Dich dazu gebracht?

Rabbiner David Kraus: Das ist immer die Frage. Auch in Israel wird denen, die dieses Upgrade gemacht haben, immer die Frage gestellt: wer ist gestorben? Hattest du einen Unfall? Wurdest du verlassen? Wurdest du entlassen? Irgendwas Negatives ist passiert und dann ändere ich mein Leben und werde orthodox. Natürlich ist etwas passiert, dass mein Leben auf den Kopf gestellt hat. Und auf einmal stehe ich auf dem Kopf, schaue nach links und rechts und sage zu mir: jetzt schaut die Welt gut aus. Als ich geradestand, hatte ich nicht wirklich das Gefühl. Was ich damit sagen will. Wenn ein Mensch auf dem Boden liegt und dann bekommt er diesen Wow-Gedanken, der ihm die Kraft gibt, eben nicht am Boden liegen zu bleiben, sondern die Kraft gibt weiterzugehen. Und ich bin auch hingefallen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich erlebte einen Angriff in Regensburg und hatte einen fürchterlichen Streit mit einem Muslim, der mich die Treppe runterschubste. Dann wurde ich von einem Krankenwagen ins Krankenhaus gefahren mit schweren Verletzungen – gebrochene Schulter, gebrochenes Knie, Wadenbein und Kreuzbein. Im Prinzip alles, was man im Kniebereich kaputtmachen kann. Sogar von Fußamputation war die Rede. Mir war sofort klar, dass mein Leben nicht mehr das sein würde, was es war und dass ich auch nicht mehr dorthin gehen werde, wo ich eigentlich hinwollte. Mein großer Traum war es Hotelmanager zu werden. Und dann lag ich da und mein Arzt kam vorbei, sein Name passt wunderbar in meine Geschichte – er hieß Dr. Schrott. Er hat sich meinem Schrott angenommen und hat ihn nicht entwertet, sondern hat ihn recycelt. Er hat zu mir unter anderem gesagt, dass mir nur noch eines bleibt – beten. Ich habe dann wirklich in den Himmel geschaut durch die Krankenhausdecke hindurch und habe nach oben gesprochen und gesagt: wenn du da irgendwo oben bist, bis heute habe ich nicht wirklich daran geglaubt, aber jetzt hast du die Möglichkeit dich mir zu offenbaren. Und ich verspreche dir, ich werde mich revanchieren. Und so kann man im Großen und Ganzen dann meine Geschichte beschreiben. Der Schöpfer hat sich mir offenbart mit medizinischen Wundern. Es waren zum Beispiel etliche Operationen angesetzt, am Ende waren es dann nur drei. Und auch in Israel sind mir dann wundervolle Dinge passiert. Und plötzlich habe ich Schläfenlocken bzw. Peot und einen langen Bart.

Aber Du bist ja nicht orthodox aus dem Krankenhaus entlassen worden, oder?

Rabbiner David Kraus: Nein, es war ein Prozess. Als ich in Israel ankam, war ich der Überzeugung, dass ich ganz orthodox bin. Ich esse keine unkoscheren Sachen mehr, halte den Schabbat und so weiter. Als ich dann in Israel war, wurde mir klar, dass Jude sein Lifestyle pur ist. Und zu diesem Lifestyle gehören eben ein paar Gesetze. Und diese Gesetze sind sehr wichtig. Zu einer wahren Liebe gehören auch Grenzen. Eine davon ist zum Beispiel Treue. Wenn dir Treue Spaß macht, dann liebst du deine Frau. Wenn du damit aber ein Problem hast, hast du die Grenze hier überschritten und dann können wir nicht wirklich von Liebe reden. Und das Gleiche wurde mir dann klar im Judentum in meiner Beziehung zu meinem Schöpfer, dass es hier Regeln gibt. Ich liebe meinen Schöpfer und ich bin ihm dankbar für all die Wunder, die er mir täglich schenkt. Und es gibt hier Regeln, die ich nicht überschreiten kann. Und wenn ich sie überschreite, dann liebe ich ihn ja nicht. Und die Regeln und Gesetze hat er nicht aufgestellt, weil er etwas von mir will, sondern für mich, weil sie gut für mich sind.

Du leitest ein Therapiezentrum und bietest Paar- und Familientherapie in Jerusalem, an. Hast Du nur religiöse Menschen, die zu Dir in die Therapie kommen?

Rabbiner David Kraus: Ich biete Therapien für alle an. Religiös oder nicht religiös, jüdisch und auch nichtjüdisch – alle sind herzlich willkommen. Und ich habe auch arabische Klienten bei mir in der Therapie, was in Israel aufgrund der Problematik mit den Nachbarstaaten noch spannender ist. Manchmal kommen Menschen auch zu mir auf Empfehlung, das ist dann auch immer ganz spannend. Wenn einem gesagt wird, geh mal zu David Kraus, er ist ein toller Paar- und Familientherapeut. Jetzt sagt man nicht, geh zu Rabbiner Kraus, sondern einfach David Kraus. Und dann denkt er natürlich, er geht zu einem David, der eine Glatze hat, vielleicht zwei Ohrringe oder ohne Ohrring. Und dann kommt er zu mir und sagt, was ist denn jetzt los. Wer bist denn du? Und dann sage ich: ich bin der David Kraus. Und dann siehst du erstmal im Gesicht: soll ich flüchten, wo ist die versteckte Kamera. Was ist jetzt hier los. Mein Lachen ist dann hier wahrscheinlich der Schlüssel zu meinem Glück, dass die Leute nicht direkt abhauen, sondern erstmal den angebotenen Kaffee trinken. Und dann gibt ein Wort das andere und dann habe ich es geschafft, sie bei mir ankern zu lassen, in dem sie verstehen, dass sie jetzt einen sicheren Hafen haben. Und daraufhin passieren in dieser Hinsicht wundervolle Dinge.

Warum Familientherapie? Du hättest ja auch ein allgemeiner Therapeut werden können, aber warum hast Du Dich für die Familientherapie entschieden?

Rabbiner David Kraus: Ich war schon immer der Love Doktor, auch schon in meinen jüngeren Jahren. Das bedeutet, wenn Leute Probleme hatten in ihren Beziehungen innerhalb meines Freundeskreises – und das war nicht selten – dann kam man zu mir. Und das war schon immer mein Ding. Mein Herz schlug bereits damals für die Liebe, für das Echte. Und Familie ist eben das Echte. Und als ich dann Rabbiner wurde, kamen viele Paare und Familien mit ihren Problemen zu mir und so hat sich das dann herauskristallisiert.

Das Interview führten Matvey Kreymerman und Zeev Reichard