Klimakrise ist ein gesellschaftliches Problem

Ein Gespräch mit Luisa Neubauer

Anlässlich von Tu Bischwat, dem jüdischen Neujahrsfest der Bäume, haben wir für unseren Podcast „Un(d)orthodox – der jüdische Podcast für Unschlüssige“ mit einer Person gesprochen, die gerade im Hinblick auf Umweltschutz ein breites Wissen mitbringt, um dieses wichtige Thema greifbarer zu machen. Luisa Neubauer ist Klimaaktivistin und sie ist das deutsche Gesicht der Klimabewegung „Fridays for Future“ und setzt sich intensiv dafür ein, dass die Politik sich diesem Problem annimmt.

Luisa, was stört Dich eigentlich mehr, die Klimakrise selbst oder die Tatsache, dass die Krise von einem Teil der Gesellschaft nicht ernstgenommen wird? Frustriert Dich das nicht? Und wie gehst Du mit den Hasskommentaren um?

Luisa Neubauer: Ich würde meine Antwort gerne zweiteilen: Das eine ist, dass wir vor einem selbstproduzierten Problem stehen für das alle Möglichkeiten, es zu lösen, uns offenstehen. Und wir das nicht wirklich annehmen. Wir stehen als Gemeinschaft jetzt davor und stellen fest, wir haben alle Lösungen, ein Problem zu beheben, das niemanden außer uns gefährdet. Und wir machen es nicht. Das ist eine total skurrile Situation – und das ist belastend. Studien zeigen auch, dass junge Menschen enttäuschter sind von dem Nichthandeln der Regierung als von der Klimakrise selbst. Wir erleben vor unseren eigenen Augen, wie die Regierung allen Generationen eine Absage erteilen. Und das ist glaube ich eine Herausforderung, die auch zunehmen wird. Wir werden besser werden müssen, Antworten zu finden auf Klimaangst, auf Klimaeinsamkeit, auf diese frustrierte Enttäuschung, die sich daraus entwickelt. Und dann gibt es eine andere Ebene, die auf Social Media. Aber das beschäftigt mich viel weniger als die Frage des politischen Nichthandelns. Das ist in dem Sinne natürlich ein Problem, denn wir sehen, dass Klima in Social Media Räumen sich so dramatisiert, sodass Menschen sich nicht mehr trauen, für ihre Meinung oder für ihre Werte einzustehen. Und diese Bedrohung dann auch nicht mehr nur eine digitale, sondern auch eine reale ist. Und das ist ein Problem und weil ich es auch so anerkenne, wehre ich mich und klage ganz viel. Ich bin mit tollen Juristen zum Beispiel von HateAid daran, ein Zeichen zu setzen und mich dagegen zu wehren. Auch, weil ich verstehe, dass wir diese Räume verteidigen müssen, wenn wir Meinungsfreiheit für alle beschützen wollen. Aber ich hänge da jetzt nicht Tag und Nacht dran und lese mir die Kommentare auch nicht durch.

Aber angenehm ist es ja trotzdem nicht, oder? Denn Du weißt ja letztendlich, dass es da ist.

Luisa: Ja, aber ich kenne das auch nicht anders. Vielleicht geht es den Menschen, die immer Happy Family Feedback bekommen und dann das erste Mal erfahren, dass jemand anderer Meinung ist, anders. Aber wir haben ja von Tag eins als Klimabewegung und ich auch als Klimaaktivistin erfahren, dass diese Gesellschaft unter dem Strich extrem überfordert ist, mit jungen Frauen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen. Diese Überfordungerung ist immer schon ein Teil vom Aktivismus gewesen. Und ich nehme es nicht persönlich, die Menschen haben ja kein persönliches Problem mit mir. Die kenne mich ja gar nicht. Die sehen mich als ein Symptom oder eine Projektion für das, was sie vielleicht ungewohnt finden. Ich glaube diese Differenzierung ist wichtig. Und dann gibt es aber auch die legitime Kritik, an dem was ich und viele andere auch machen. Aber wenn so viel Hass dabei ist, dann schrumpft die Kapazität sich auch mit konstruktiver Kritik zu beschäftigen – das verwischt dann und man hat keine Kraft mehr sich damit auseinanderzusetzen.

Seit drei Jahren gehst Du auf die Straße und demonstrierst für den Klimaschutz. In diesen drei Jahren hast Du mit großen Persönlichkeiten, nicht nur deutschlandweit, sondern auch mit internationalen Persönlichkeiten, gesprochen. Hast Du das Gefühl, dass Dich diese Persönlichkeiten verstehen und den Ernst der Lage begreifen, gerade auch im Hinblick, dass sie vielleicht, eben weil sie ein junges Mädchen gegenüber haben, Dich nicht so ernstnehmen, wie sie Dich vielleicht ernstnehmen sollten?

Luisa: Das Eine ist die Frage, ob politische Entscheidungsträger überhaupt der Lage bewusst sind. Das ist eine komplizierte Veranstaltung. Da bin ich mir auch nach wie vor nicht sicher. Ich glaube es ist ein großes Missverständnis, dass man denkt, ja die wissen nicht gut genug Bescheid und wenn sie besser Bescheid wüssten, dann würden sie schon was machen. Ich glaube das ist ehrlich gesagt eine Erzählung, die der Regierung einen Gefallen tut und sie in erster Linie entschuldigt. Man muss sich bewusst machen, dass ausreichende Teile der Regierung sehr wohl wissen, was passiert. Sie sind hellwach, haben die Augen offen und verstehen gerade, was sie da in Kauf nehmen. Nur um das nochmal zu unterstreichen: Es gibt die Reports des Weltklimarates, des sogenannten IPCCs, die kommen in unregelmäßigen Abständen raus. Da gibt es drei Arbeitsgruppen und ein Report kommt jetzt im Februar wieder raus. Diesen IPCC gibt es seit Jahrzehnten. Das ist der Weltklimarat, das ist die wichtigste Institution, die wir in der Klimaforschung weltweit haben. Und bevor ein Bericht veröffentlicht wird, gibt es eine oder zwei Wochen vorher ein Treffen mit Beteiligung von jeder Regierung der Welt, mit Ausnahme von vielleicht fünf Ländern. In einer Zusammenfassung dieses Reports wird Wort für Wort, Satz für Satz besprochen, was da genau drinnen steht. Und darüber wird auch diskutiert. Die Regierung kann intervenieren und dann werden diese Berichte genehmigt. Es kann keine Regierung sagen, dass sie von nichts wissen würde oder nicht dabei waren. Die sitzen alle im Raum und lesen sich das durch. In früheren, diplomatischen Krisen, da war es durchaus so, dass solange man miteinander gesprochen hat und gemeinsam in einem Raum war, dann war man sicher, dass dann erst mal nichts Schlimmeres passiert. Und in der Klimakrise habe ich manchmal den Eindruck, dass man immer noch denkt, man wäre in so einem Modus, wo das Reden an sich schon mal das Wichtigste ist. In der Klimakrise ist das Problem aber genau andersrum. Solange wir reden und nichts machen, kumuliert sich ja nur die Krise, vor der wir stehen.

Wie ist die Fridays for Future Bewegung in Deutschland entstanden und was hat Dich dazu gebracht, Klimaaktivistin zu werden?

Luisa: Es gab einige Ereignisse, die mich nachdenklich gemacht haben. Ich studiere Geografie und saß in den Vorlesungen. Da habe ich gehört, dass wir vor so großen Problemen stehen, und dann habe ich mich umgeschaut und dachte mir, dass wir doch jetzt irgendwas machen müssen. Und dann war die Vorlesung vorbei und alle sind in die Mensa gegangen. Das war überhaupt kein Thema mehr. Und das hat mich sehr irritiert. Wie kann das sein, dass wir zu den privilegierten jungen Menschen gehören, die studieren können, was mit unserer Welt passiert und wir tun so, als sei das an sich schon genug. Als wäre es legitim, dieses Wissen zu verarbeiten, mal einen Vortrag drüber zu halten und dann weiter durch das Land zu ziehen, als würde uns das nicht berühren. Und das fand ich sehr irritierend. Es gab auch weitere Momente, zum Beispiel war ich mit meiner Kirchengemeinde aus Hamburg bei einer anderen Kirchengemeinde in Tansania. Und wir haben jahrelang Spenden gesammelt, dass die da eine Wasserleitung hinlegen können zu einem Dorf. Und dann war das endlich gebaut und letztendlich floss kein Wasser, weil sich das Klima verändert hatte. Das hat gezeigt, dass die Klimakrise alle anderen Ungerechtigkeiten wie Armut und Hungersnot noch weiter verschärft. Und schließlich habe ich bei einer Klimakonferenz in Polen Greta Thunberg kennengelernt und dachte, ich gehe zwar nicht mehr zur Schule und vielleicht bin ich auch etwas zu alt, weil ich dachte, das ist etwas für Kinder. Aber vielleicht ist das gerade auch einfach egal, ob ich 22 oder 15 bin. Vielleicht geht es in diesem Augenblick einfach darum, dass ich etwas mache, auch, wenn es nur etwas Kleines ist. Und ich war zum Glück nicht die Einzige und dann haben wir in Deutschland angefangen, für das Klima zu streiken. Und dann sind mit der Zeit immer mehr Menschen dazugekommen.

Was für eine Rolle spielt Religion in Deinem Leben? Und findest Du, dass die Klimabewegung vielleicht eine Art der neuen Religion ist?

Luisa: Ich bin getauft und konfirmiert, aber finde nicht, dass ich mit 25 ein absolutes Bild davon haben muss, an wen oder was ich glaube. Und ich finde das sehr in Ordnung, das für mich auch als Prozess zu sehen. Ich bin durch meine Sozialisierung schon sehr nah an unserer lokalen Kirchengemeinde aufgewachsen. Diese Gemeinde hat gezeigt, was es eigentlich heißt, eine Gemeinschaft zu haben, die durch bestimmte Elemente und durch bestimmte Werte verbunden ist. Und dass die großen und kleinen Krisen, die auftauchen, dann am besten bewältigt werden können, wenn man eine Gemeinschaft hat. Mein Stadtteil, in dem ich aufgewachsen bin, hat sich sehr verändert, aber er war eine Zeitlang nicht der fröhlichste Ort. Er war auch sehr belastend mit vielen Konflikten und es war die Kirchengemeinde, die den jungen Leuten gezeigt hat, dass es auch anders geht. Ich glaube, dass es in den Religionen und im Glauben ein ganz großes Potenzial gibt, dass Menschen zusammengebracht werden und Kraft finden. Das brauchen wir für diese Krisen. Manchmal frage ich mich allerdings auch, ob es auch ein Problem ist, dass wir die Hoffnungserzählung der Religion, womöglich auch unterbewusst, auf das Klima übertragen. In vielen Religionen wird immer wieder die Geschichte erzählt, das bald alles gut wird, wenn man noch ein bisschen weitermacht.

Und das erinnert mich auch manchmal an die Klimakrise. Auch da erzählen uns Regierungen, dass alles gut wird, wenn man noch etwas weiter macht, aber dass wir auf jeden Fall auf einem guten Weg sind. Real steigen die Emissionen immer weiter. Und ich frage mich, ob wir da manchmal etwas verwechseln. Ob wir uns einen Gefallen tun würden, in der Klimakrise vielleicht mal brutal die Zahlen anzuschauen und nicht die Geschichten, die wir uns als Menschen erzählen, die uns Halt geben, unserem Leben Sinn geben, die unserer Gemeinschaft Sinn geben und sie treiben – ob wir das nicht verwechseln mit dem, was wir als Klimabilanz gerade erleben. Ob Fridays for Future eine neue Religion ist, das würde ich so jetzt nicht sagen. Ich glaube aber, was wir sehen, dass es tendenziell immer mehr Menschen gibt, die sich von Religionen abwenden und auf der Suche sind nach einer Gemeinschaft, die aus einem Fundament besteht und das, finden glaube ich viele in der Klimagerechtigkeitsbewegung.

Es gibt viele Menschen in unserer Gesellschaft, die vielleicht nicht auf die Straße gehen und demonstrieren möchten, aber dennoch mit kleinen Schritten ihren Teil zum Klimaschutz beitragen wollen. Was würdest Du denen entgegnen?

Luisa: Ich freue mich über jeden, der sich diese Frage stellt, denn das ist schon mal der erste wichtige Schritt. Wir müssen uns einmal kurz bewusst machen, was die Klimakrise überhaupt für ein Problem ist. Das ist keine Krise, aus der wir uns irgendwie rausshoppen können, die wir lösen, indem wir irgendwelche nachhaltigen Produkte kaufen. Das ist zwar alles schön und gut, aber das löst das Problem nicht. Wir müssen uns auch bewusstwerden, welche Verantwortung wir haben. Wenn wir ein ganz bisschen Zeit, ein ganz bisschen Kapazität, ein ganz bisschen Kraft, ein ganz bisschen Reichweite haben, als Individuum oder auch als Institution, das betrifft ja auch zum Beispiel Gemeinden wie Eure, dann haben wir eine Verantwortung in dieser Klimakrise. Und aus dieser Verantwortung können wir uns auch nicht wirklich rausreden. Die erste Sache ist, dass man darüber spricht und sich diese Gedanken überhaupt macht und das zweite ist, ob ich gerade meine vorhandenen Möglichkeiten vollumfänglich ausschöpfe. Ich würde den Leuten gerne sagen, dass es reicht, wenn sie ab und zu mal ihr Auto stehen lassen oder weniger fliegen, und dann hat sich das. Aber so einfach ist es nicht. Deswegen ist der politische Protest und das Streiken auf der Straße so ein elementares Mittel, weil es wirklich darum geht, eine politische Kraft zu mobilisieren, die die Möglichkeit hat langfristige Entscheidungen zu treffen, die den kurzfristigen Interessen manchmal widerspricht. Und das ist nicht, wie Politik gestrickt ist. Das ist nicht, wie Legislaturperioden und Parlamente normalerweise funktionieren. Wir müssen uns bewusstmachen, dass es wirklich etwas braucht, was jenseits unserer Komfortzone liegt und eine Kraft braucht, die größer ist, was man als Einzelperson zwischendurch machen kann. Und daher ist es so wichtig, dass wir uns zusammentun. Das heißt, ich würde nach wie vor Menschen weiter ermutigen, auf die Straße zu gehen und wenn man das nicht machen möchte, dann zumindest überlegen, wo man sich sonst organisieren könnte. Wie in Eurem Beispiel jetzt, ist meine Gemeinde klimaneutral? Haben wir uns schon mit anderen zusammengetan und uns als Institution dafür ausgesprochen, dass es mehr Klimagerechtigkeit braucht? Es gibt aber keine einfache Antwort darauf. Das ist die komplexeste und gefährlichste Krise, vor der wir als Menschheit im 21. Jahrhundert stehen können. Die Regierung wird nicht handeln, wenn es nicht beispiellosen Druck der Bevölkerung gibt. Das muss man sich bewusstmachen. Es reicht nicht zu sagen, dass es ein politisches Problem ist. Wir verstehen uns als Teil einer Öffentlichkeit, die dafür sorgen muss, dass die sogenannten Kosten des Nichthandelns einfach gigantisch werden.

Das Interview führten Matvey Kreymerman und Zeev Reichard